Topostheorie ist ein Teilgebiet der Mathematik, das viele andere Teilgebiete der Mathematik verknüpft. Das liegt unter anderem daran, dass Topoi viele verschiedene Facetten haben:
Topoi kann man sich als verallgemeinerte topologische Räume vorstellen. Diese Sichtweise entspricht auch dem historischen Zugang. Für Grothendieck war die sog. Zariski-Topologie auf Schemata nicht flexibel genug. Er musste die sog. étale und später die noch krassere kristalline Topologie erfinden. Diese sind aber keine Topologien im gewöhnlichen Sinn. Diese bilden nur Topoi.
Analog wie zwischen gewöhnlichen Räumen stetige Abbildungen verlaufen, verlaufen zwischen Topoi „geometrische Morphismen“. Anders als gewohnt können Topoi aber auch dann nichttrivial sein, wenn sie keine Punkte enthalten.
Topoi kann man sich als Kategorien von Garben über verallgemeinerten Räumen vorstellen. Diese Sichtweise ist nah an einer der möglichen Definitionen des Toposkonzepts.
Topoi kann man sich als mathematische Alternativuniversen, in denen nicht unbedingt die üblichen Gesetze der Logik gelten, vorstellen. Wenn man ganz normal Mathematik betreibt, arbeitet man in Wahrheit im Topos Set. In diesem Topos gelten die normalen logischen Regeln. In anderen Topoi ist das anders. Es gibt zum Beispiel Topoi, in denen jede Abbildung ℝ → ℝ ein Polynom ist. In anderen gibt es infinitesimale reelle Zahlen ε (mit ε² = 0 obwohl ε ≠ 0). (Ohne es explizit zu wissen, arbeiten PhysikerInnen oft in diesem Topos.) In wieder anderen ist jede Funktion ℕ → ℕ durch idealisierte Computerprogramme berechenbar.
Allen Topoi ist gemein, dass die Schlussregeln der intuitionistischen Logik in ihnen gelten. Klassische Logik gilt nur in einigen wenigen Topoi.
Mit Topostheorie kann man nicht nur diese Alternativuniversen erforschen, sondern auch neue konstruieren. Cohen verdiente sich 1970 damit die Fields-Medaille: Er konstruierte einen Topos, der eine Zwischenstufe zwischen der Größe der natürlichen Zahlen und der Größe der reellen Zahlen enthielt. Mit den modernen Hilfsmitteln der Topostheorie ist das nicht mal schwer und kann problemlos in 90 Minuten vorgestellt werden.
Wenn ihr schon immer das umgebende mathematische Universum so ändern wolltet, dass eure Lieblingsmenge ein neues, etwas geisterhaftes „generisches Element“ enthält, dann seid ihr hier richtig.
Topoi kann man sich als Verkörperungen logischer Theorien vorstellen. Zum Beispiel gibt es einen Topos, der die „wandelnde Gruppe“ enthält. Jede Gruppe überhaupt (in jedem Alternativuniversum) ist Rückzug dieser einen wandelnden Gruppe. Die Eigenschaften, die diese wandelnde Gruppe hat, übertragen sich auf alle Gruppen überhaupt (sofern es sich um sog. „geometrische Eigenschaften“ handelt). Wenn man ausruft, „Sei G eine Gruppe!“, so bezieht man sich, ohne es vielleicht explizit zu wissen, auf die wandelnde Gruppe in diesem speziellen Topos.
Die Dualität zwischen Algebra und Geometrie, von der ihr vielleicht schon gehört habt, spiegelt sich auch hier wieder. Der Übergang von einer logischen Theorie zu einer Quotiententheorie (durch Hinzunahme von Axiomen, wie etwa beim Übergang von der Theorie der Gruppen zur Theorie der abelschen Gruppen) spiegelt sich auf geometrischer Seite nämlich in einem Übergang von einem Obertopos zu einem Untertopos wieder.
Ziel des Pizzaseminars ist es, diese verschiedenen Aspekte auf verständliche Art und Weise zu beleuchten.
Organisation: Ingo Blechschmidt, Büro 2031/L1
Folien: Was sind und was sollen die Topoi?, Videoaufzeichnung (Teil 1), Videoaufzeichnung (Teil 2) (vielen Dank an Tim!)
In der Woche vom 13. bis 17. März werden wir einen Vorkurs zum Pizzaseminar abhalten, der die nötigen Kategorientheorievorkenntnisse bereitstellt. Dieser Vorkurs richtet sich an alle, die die Sprache der Kategorien kennenlernen möchten, und richtet nur grundlegende Vertrautheit mit mathematischen Konzepten voraus, wie sie man sie nach einem Semester Mathematikstudium hat. Zum Vorkurs sind also insbesondere alle eingeladen, die zum Wintersemester ihr Studium aufgenommen haben.
Wir treffen uns an jedem dieser Tage um 17:00 Uhr im Raum der Wünsche (2004/L1).
Der Vorkurs ist auch unabhängig von seinem Vorbereitungsziel nützlich: Wer nach dem Vorkurs keine Lust oder Zeit hat, in die Topostheorie einzusteigen, hat trotzdem kategorielles Denken erlernt. Die Sprache der Kategorientheorie erlaubt es, gewisse Zusammenhänge verblüffend kurz, knapp und übersichtlich darzustellen, Gemeinsamkeiten und Analogien zwischen Teilgebieten der Mathematik herauszuarbeiten und manches Triviales als trivialerweise trivial zu erkennen. Besonderheiten kann man so besser wertschätzen: „Aus allgemeinem abstrakten Nonsens folgt X, Y, Z und A. Interessant ist, dass hier auch B gilt! Dafür gibt es keinen allgemeinen Grund.“
Ein ganz grundlegendes Beispiel, das den vereinheitlichenden Charakter von Kategorientheorie demonstriert, ist folgendes. Die Addition von Zahlen, die Multiplikation von Zahlen, das Bilden des größten gemeinsamen Teilers, das Bilden des kleinsten gemeinsamen Vielfaches sowie das Bilden des kartesischen Produkts von Mengen oder Vektorräumen sind jeweils (nahezu) kommutativ. Mit Kategorientheorie kann man einen einzelnen, gemeinsamen, tieferen Grund für diese Phänomene ausmachen (und in einem Aufwasch für diese und noch weitere Fälle beweisen).
Der Vorkurs wird in dem vom Mathecamp bewährten Format des verbotenen Geheimzirkels stattfinden: Wir sitzen alle an einem großen Tisch. Der Erklärende schreibt auf ein großes Blatt in der Mitte. Dadurch, dass der Erklärende stets Augenkontakt hält und alle jederzeit mit Verständnisfragen unterbrechen, können komplexe Sachverhalte in kurzer Zeit vermittelt werden.
Tag 1: Kategorien, Monos und Epis, terminale und initiale Objekte, Produkte und Koprodukte (Abschnitte 1 und 2 im Skript)
Mitschrift (danke an Tabea!), Audioaufzeichnung, Übungsblatt 1 (Lösungsvorschlag), Übungsblatt 2 (Lösungsvorschlag), empfohlene Videos der Catsters: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7
Tag 2: Funktoren (Abschnitt 3 im Skript)
Audioaufzeichnung, Übungsblatt 3 (Lösungsvorschlag), Videos: 1 oder i (leider fehlt es beiden Videos an guten Beispielen!)
Tag 3: Natürliche Transformationen (Abschnitt 4 im Skript)
Mitschrift (danke an Anna!), Audioaufzeichnung, Übungsblatt 4 (Lösungsvorschlag), Videos: 1, 2, 3, 4
Tag 4: Limiten und Kolimiten (Abschnitt 5 im Skript)
Mitschrift (danke an Anna!), Audioaufzeichnung, Übungsblatt 5, Videos: 1, 3, 3, 4, 5, 6
Tag 5: Adjunktionen (Abschnitt 7 im Skript)
Zu diesen Stichpunkten gibt es im Internet viele Videos und Blog-Artikel. Wir werden für jeden Tag passende Materialien heraussuchen, sodass man nicht abgehängt wird, wenn man zu einem der Treffen verhindert ist.
0 | 4.4. 14:30 | Ingo Blechschmidt | Prägarben und das Yoneda-Lemma | |
1 | 5.4. 17:00 | Ingo Blechschmidt und Matthias Hutzler | Definition und einfache Beispiele für Elementartopoi | Videos |
2 | 6.4. 17:00 | Lukas Stoll | Kategorien von Garben auf Siten (Teil 1) | Videos |
3 | 10.4. 17:00 | Lukas Stoll | Kategorien von Garben auf Siten (Teil 2) | |
4 | 12.4. 17:00 | Alex Hilpert und Kilian Rueß | Interne Sprache von Topoi | Videos |
5 | 13.4. 13:00 | Tim Baumann | Geometrische Morphismen; Eigenschaften von Topoi und Konstruktionen mit Topoi (Teil 1) | Skript Videos |
6 | 18.4. 17:00 | Tim Baumann | Geometrische Morphismen; Eigenschaften von Topoi und Konstruktionen mit Topoi (Teil 2) | |
7 | 20.4. 16:00 | Xaver Hörl | Über verbotene Infinitesimale (synthetische Differentialgeometrie) | Video |
8 | 24.4. 17:15 | Peter Arndt | Bonusvortrag: Der Körper mit einem Element | Video Mitschrift |
9 | ?.4. | ? | Über die Kontinuumshypothese (Cohens Topos) | |
10 | ?.4. | ? | Der separable Abschluss eines Körpers (der étale Topos) | |
11 | ?.4. | ? | Klassifizierende Topoi als Verkörperungen logischer Theorien |
Wir treffen uns immer im Raum der Wünsche. Vielen Dank an Felicitas fürs Mitschreiben!
Organisation: Ingo Blechschmidt, Büro 2031/L1. Fragen, Anmerkungen und Vorschläge jederzeit willkommen! • Durstig? Kaffeeseminar!